
Burn-out-Prävention und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Work-Life-Balance ist ein geflügeltes Wort geworden. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber können schon lange nicht mehr einzig mit Geld kompetente Arbeitskräfte gewinnen, sehen sich aber gleichzeitig mit dem Dilemma konfrontiert, immer höhere Gehaltsforderungen mit immer weniger tatsächlicher Arbeitszeit in Einklang bringen zu müssen. Burn-outs verursachen oft hohe Kosten für die Allgemeinheit, für die Unternehmen und auch für die Betroffenen. Neben den finanziellen Verlusten wegen des Ausfalls tritt die Reduktion von Prestige und Selbstwert für die Einzelnen. Für die Unternehmen treten neben den Ausfall der Arbeitskraft von oft besonders engagierten Mitarbeitenden auch die Risiken von weiteren Vorfällen bei anderen Teammitgliedern, da nun die gleiche Arbeit zunächst auf noch weniger Schultern verteilt werden muss. In diesem Zusammenhang muss sich für die Arbeitgeberin die Frage stellen, ob die Burn-out-Prävention im Arbeitsverhältnis nur wirtschaftlich angezeigt oder sogar Inhalt einer Fürsorgepflicht ist.
Die Arbeitgeberin-Fürsorgepflicht in der DACH-Region
Die allgemeine Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin ist das Gegenstück zur Treuepflicht der Mitarbeitenden. Sie unterteilt sich in viele Einzelpflichten, die nur teilweise im Gesetz festgelegt sind, und unterliegt dem ständigen Wandel. Sie verpflichtet im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, den Mitarbeitenden „Schutz und Fürsorge“ zukommen zu lassen und ihre berechtigten Interessen angemessen zu wahren. Umfasst sind Informationspflichten in Bereich der sozialen Absicherung, Pflichten bei der Arbeitssicherheit (z. B. Helme auf dem Bau, Masken bei Verkäuferinnen, Handschuhe bei Reinigungspersonal) sowie sich aus der Fürsorgepflicht ableitende Pflichten zum allgemeinen Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers, zum Schutz der Daten des Arbeitnehmers; zur Gleichstellung der Geschlechter oder zur Gewährung von Freizeit und Ferien. Mehrheitlich ist die Fürsorgepflicht eine Unterlassungspflicht. Im Kern ist alles zu unterlassen, was die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers schädigen könnte. Teilweise wird sie auch zur Handlungspflicht, etwa als Pflicht, Schutzmassnahmen zu treffen. Zum Schutzkreis zählen auch körperliche und geistige Integrität sowie die persönliche und berufliche Ehre, die Stellung und das Ansehen des Arbeitnehmers im Betrieb. Laut Website der SECO stellt die psychosoziale Gesundheit derzeit ein Schwerpunktthema der Vollzugsorgane im Arbeitsschutz dar. In Deutschland regelt § 618 Abs. 1 BGB die Fürsorgepflicht. Österreich reguliert noch konkreter. Während Artikel 3 des ASchG eine allgemeine Fürsorgepflicht vorsieht, ist seit 2013 eine Auswertung der psychischen Fehlbelastungen in Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden Pflicht. In der Schweiz findet sich diese Pflicht hauptsächlich im Art. 328 des Obligationenrechts (OR). In Bezug auf die Leistungsgesellschaft und Burn-outs ist besonders relevant, dass der Arbeitgeber nach Schweizer Recht alle Massnahmen treffen muss, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind, soweit es ihm mit Rücksicht auf das einzelne Arbeitsverhältnis und die Natur der Arbeitsleistung zugemutet werden kann (Art. 328 Abs. 2 OR). Unter diese Pflicht fallen beispielsweise die sachgemässe Organisation des Arbeitsablaufs, richtiges Einsetzen, Instruieren und Überwachen der Mitarbeitenden.
Konsequenzen rein finanzieller Natur
Eine Verletzung der Fürsorgepflicht kann finanzielle Sekundärfolgen für die Arbeitgeberin haben. Bei Pflichtverletzungen in der Schweiz gilt eine Schadenersatz- und Genugtuungsforderung aus OR Art. 97. Möglich ist auch eine Haftung aus OR Art. 41 (unerlaubte Handlung). Eine Genugtuung kann geschuldet sein, wenn der Arbeitnehmer verletzt wird oder wenn eine Persönlichkeitsverletzung vorliegt, falls diese sehr schwerwiegend ist und nicht anders wiedergutgemacht werden kann. Ein eventuelles Selbstverschulden des Arbeitnehmers bildet einen Reduktionsgrund.
Pflicht zur Überwachung von Leistung
Tätig werden kann die Arbeitgeberin nur, wenn sie informiert ist oder zumindest das Problem kennen müsste. Eine Evaluation, ob tatsächlich eine Überlastung vorliegt, kann sich jedoch schwierig gestalten. Klagt man nicht über zu viel Arbeit oder „Stress“, wird man schnell als weniger nützlich und unentbehrlich für die Arbeitgeberin abgestempelt, zumindest indirekt. Die Aussage, man habe nicht genug zu tun oder es gibt genug freie Zeit, kann schnell zu erweiterten Aufgaben führen oder zu der Überlegung, ob diese Mitarbeitenden wirklich benötigt werden. Es scheint gerade notwendig, dass die Arbeitgeberin die Leistung der Mitarbeitenden überwacht. Einerseits durch Zeiterfassung, was auch oft gesetzlich vorgeschrieben ist, andererseits durch messbare Ergebnisse. Anderenfalls hat die Arbeitgeberin fast keine Möglichkeit, die Zeichen eines Burn-outs zu erkennen. Insbesondere dann nicht, wenn die Privatsphäre des Einzelnen geschützt werden soll. Was heisst dies nun für unsere Leistungsgesellschaft? Wenn Leistung doch überwacht werden soll, entweder in Form von Zeit oder Ergebnissen, ist es dann möglich, ein Ende der Leistungsgesellschaft zu propagieren? Ist dies überhaupt sinnvoll?
Reality-Check
Wirtschaftlich gesprochen ist Leistung notwendig, um Umsatz zu generieren. Leiste ich keine Beratungsstunden, werde ich nicht vergütet. Liefere ich das Auto nicht ab, erhalte ich keinen Kaufpreis. Leistung stellt die Grösse dar, für die ein Wert entrichtet wird. Ein Abschaffen der Leistungsgesellschaft ist nur dann möglich, wenn eine andere Grösse gefunden werden kann, mit der die Wirtschaft fortbestehen kann. Arbeitnehmende bilden da keine Ausnahme. Die Forderung nach zusätzlichen Arbeitskräften für die gleiche Arbeit zum Abbau struktureller Überlastung, um die Arbeitsorganisation für den Einzelnen weniger anstrengend zu machen, geht am Ziel vorbei. Mehr Arbeitskräfte erhöhen den Leistungsdruck des Unternehmens und damit aller. Anstelle einer strukturellen Aufstockung von Personal wäre eine strukturelle Effizienzerhöhung meiner Ansicht nach angebrachter. Warum sollte man Leistung abschaffen? Viel sinnvoller wäre doch, nicht die Leistung an sich abzuschaffen, sondern deren Gewichtung zu verändern oder unterschiedliche Personen mit unterschiedlichen Leistungen zu betrauen. Warum nicht anstelle von Leistung nach Arbeitsstunden Leistung nach Ergebnissen bewerten? Natürlich kann auch hier einfach zu viel Leistung verlangt werden. Die Lösung muss also in einer realistischen Definition der Ziele und Ergebnisse liegen. Ziel sollte meiner Meinung nicht sein, Leistung oder die Leistungsgesellschaft abzuschaffen, sondern die Effizienz in einzelnen Leistungen zu erhöhen und somit für die Einzelne eine grössere Work-Life-Balance zu erzielen und diese in ihren Stärken zu fördern. Mit dieser Herangehensweise könnten auch Talente Einzelner besser gefördert werden und nicht nur eine bessere Work-Life- Balance, sondern auch eine erhöhte Lebenszufriedenheit bei den Mitarbeitern gefördert werden. Diese Herangehensweise hat auch Nachteile. Ein Kontrollapparat im Unternehmen ist oft schwierig und kostspielig aufzubauen. Es gibt neue Mitarbeiterbewertungssoftware, die diese Funktionen teilweise übernehmen kann. Ich persönlich konnte damit noch keine Erfahrung sammeln. Interessant wäre eine vergleichende statistische Analyse, ob es teurer wäre, diesen Kontrollapparat einzuführen oder die Kosten eines Burn-outs zu tragen.
Fazit:
Meiner Ansicht nach besteht die Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin nicht darin, auf Leistung zu verzichten, sondern die Organisation und Aufgabenverteilung so zu gestalten, dass die Aufgaben der Arbeitnehmerin effizient erledigt werden können und weder zulasten der Einzelnen noch zulasten der Organisation gehen. Eine konstante Erweiterung des Mitarbeiterpools, um weniger Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen, erscheint mir eher als ein langsamer Tod des Unternehmens.