
Projekt: Ich. Ziel: Sein
Der Perspektivwechsel
Perspektivwechsel kommt für mich in zwei Varianten vor. Die erste Variante beschäftigt sich mit anderen Menschen. Es ist hier das Ziel, die Situation eines anderen mit der eigenen Situation zu vergleichen. Betrachten Sie Ihr konkretes Problem und schauen Sie sich an, wie Menschen in einem anderen Land oder in anderen Situationen mit diesem Problem umgehen würden und wie schwerwiegend es im Vergleich mit deren Problemen ist. Dabei können Sie je nach Geschmack die Situation der anderen Menschen Ihrer eigenen beliebig annähern oder sich von ihr entfernen.
Nehmen wir den Autounfall. Kann Ihr Auto noch repariert werden? Haben Sie Personenschaden angerichtet? Haben Sie eine Alternative zum Transport mit Ihrem Auto? Wir können den Vergleich an dieser Stelle fast endlos weiterziehen mit dem guten alten „Es hätte schlimmer kommen können“. Dies empfehle ich jedoch nicht, da solche Gedanken meist kontraproduktiv negative Spiralen nach sich ziehen.
Erweitert man jedoch den Blickwinkel der eigenen Situation noch etwas um Faktoren, die nicht nur das Auto betreffen, verringert sich die Tragik der eigenen Probleme häufig weiter. Was ist schon bei mir los? Mein Auto ist kaputt. Ich bin weder in der Ukraine im Krieg noch habe ich eine unheilbare Krankheit noch bin ich in einem Entwicklungsland am Verhungern. Was sind da schon meine Probleme?
Jedoch sollte hier die vergleichende Sicht noch nicht verlassen werden, sondern die Perspektive nur von anderen auf sich selbst gelenkt werden, denn zugegebenermassen funktioniert dieser erste Fall des Perspektivwechsels nicht immer. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die eigenen Probleme tatsächlich gravierend sind, und insbesondere, weil wir selbst uns am besten mit uns selbst vergleichen können. Für uns sehen unsere eigenen Situationen emotional immer schlimm aus, und das eigene, akute Problem ist gerade das Wichtigste und am schwersten zu relativieren. Es kann jedoch helfen, wenn man die akute Situation mit Situationen der Vergangenheit vergleicht. Was ist schon ein Autounfall, wenn ich Krebs überstanden habe? Was ist eine Rechnung, die ich nicht bezahlen kann, wenn schon einmal meine Existenz bedroht war?
Die zweite Variante des Perspektivwechsels soll Sie dahin führen, dass Sie sich alle Aspekte Ihres Lebens ansehen. Sie hatten vielleicht einen schweren Autounfall, aber wie sieht denn der Rest Ihres Lebens aus? Haben Sie Freunde? Haben Sie einen Urlaub geplant? Wie läuft Ihre Karriere? Wie steht es mit Ihrer Familie? Selten werden Sie finden, dass nichts in Ihrem Leben gut ist. Egal wie gross die Katastrophe sein mag, Sie werden immer etwas finden, was gut ist. Wenn Sie sich darauf konzentrieren und sich freuen, dass es diese Aspekte gibt, oder auch in Relation stellen, wie Ihr Problem mit dem Rest Ihres Lebens zu vergleichen ist, werden Sie feststellen, dass dieser Perspektivwechsel eine Erleichterung bringt.
Die Suche nach dem Gold
Der zweite Tipp betrifft das, was ich die Suche nach dem Gold nenne. Dieser Tipp ist während der Dauer der Krise anwendbar, aber auch danach, denn er verändert, wie Sie das Ereignis selbst betrachten. Auch hier ist wieder einer meiner heiss geliebten Sprüche zu zitieren: Wenn eine Tür zugeht, geht eine andere auf. Oder, sollten Sie einen wissenschaftlichen Gedanken bevorzugen: Auch ein negatives Ergebnis ist ein Ergebnis.
Gemeint ist ein ganz einfaches Konzept. Alles, was Ihnen widerfährt, kommt Ihnen in irgendeiner Form wieder zugute. Und ich meine wirklich alles. Wenn Sie die Theorie testen wollen, können Sie mir gerne eine E-Mail schreiben und wir suchen gemeinsam Ihr Gold. Nehmen wir wieder mein Beispiel des Autounfalls. Was soll daran gut sein? Es kostet mich nur Geld und Nerven, Zeit und Aufwand. Meiner Ansicht nach kann in einem Autounfall, ich spreche jetzt ohne Personenschaden, sehr viel Gutes gefunden werden. Lassen Sie uns mit dem anfangen, bei dem Sie wohl am meisten die Augen rollen werden: 1) Sie steigern das Bruttosozialprodukt. 2) Sie lernen entweder einen neuen Garagisten kennen oder Sie haben die Gelegenheit, Ihren alten Garagisten mal wieder zu sehen. 3) Sie können sich überlegen, ob Sie nicht ein anderes Auto möchten (zum Beispiel eins mit elektronischem Abstandsmesser). 4) Sie haben die Gelegenheit, das ÖV oder andere Modalitäten des Transports auszuprobieren, vielleicht treffen Sie dort jemand Interessantes. 5) Sie werden in der Zeit, in der Sie kein eigenes Auto haben, wahrscheinlich sehr viel effizienter mit den Wegen, die Sie zurücklegen, und effizienter darin, wie oft Sie überhaupt Wege zurücklegen. 6) Da Sie kein Auto haben, bewegen Sie sich wahrscheinlich etwas mehr. Ich kann die Liste noch weiterführen. Je nach spezieller Situation kann die Liste auch noch ganz andere Dinge beinhalten. Das Relevante ist, dass Ihr Fokus von „Oh Gott, oh Gott“ auf etwas Produktives wechselt.
Bei meinem letzten Autounfall konnte ich „Loslassen“ üben. Ich hatte einen kleinen Sprung und eine kleine Delle in meiner Stossstange. Zunächst habe ich mich aufgeregt wie Rumpelstilzchen. Dann habe ich mir überlegt, ob ich es überhaupt reparieren lassen soll oder ob das wirklich so wichtig ist. Des Weiteren habe ich mir überlegt, wie es überhaupt zu dem Unfall kam. Ich war an der Freisprechanlage, furchtbar in Eile und noch dazu übermüdet. Sie können sich wahrscheinlich denken, zu welchem Schluss ich kam. Ich bin überstresst und sollte mich auf jeweils nur eine Sache konzentrieren und nicht zu viele Dinge auf einmal machen. Wahrscheinlich hätte es dazu keinen Autounfall gebraucht, aber ich bin ein recht stures Geschöpf, und daher brauchte ich wohl einen grösseren Wink mit dem Zaunpfahl. Zum Vergleich: Andere brauchen einen Herzinfarkt. Natürlich gibt es auch die Glücklichen, die durch ganz kleine Katastrophen lernen. Vielleicht gehören Sie ja auch dazu.
Jeder Schicksalsschlag, den ich je erlebt habe, bei mir oder bei anderen, hatte irgendwo etwas Gutes an sich. Eine Entlassung von einer Stelle machte mich gedanklich frei, um eine anzunehmen, die viel besser zu mir passte. Nach dieser hätte ich aber in meiner komfortablen Situation nie gesucht. Eine Beziehung ging zu Ende, und ich habe – zugegeben nach vielen Schoko-Bons – entdeckt, dass ich mich selbst lieben lernen sollte. Mein Vater hat mich verstossen, und ich durfte erfahren, dass meine Prinzipientreue auch dem standhält. Verstehen Sie mich nicht falsch, Krisen tun weh, aber wie bei der Geburt eines Kindes, wenn Sie durch sind und Ihr Gold gefunden haben, werden auch Sie merken, dass es das wert war.
Fazit
Ich kann Ihnen nur sagen, dass meine Katastrophen mit der Zeit immer kleiner geworden sind, sowohl in meinem eigenen Kopf als auch in meiner Aussenwelt. Diese beiden kleinen Tipps haben mir geholfen, Krisen leichter zu überstehen und aus diesen am Ende mehr für mich herauszuziehen. Ich hoffe sehr, dass diese Tipps auch für Sie hilfreich sind. Am Ende möchte ich Ihnen drei Sprüche besonders ans Herz legen, von denen zwei auch in Liedtexten verewigt sind:
1. What does not kill you makes you stronger
2. Today, you win some, or learn some; und
3. Am Ende wird alles gut, ist es nicht gut, ist es noch nicht das Ende.