Ladies Drive Nr. 50: Wer zahlt bei nichtwirtschaftlichen Krisen?
WER ZAHLT BEI NICHTWIRTSCHAFTLICHEN KRISEN?
In der Schweiz gilt das Obligationenrecht für nationale Sachverhalte und das UN-Kaufrecht für grenzüberschreitenden Warenhandel. Vorschriften gleich dem UN-Kaufrecht existieren für Dienstleistungen nicht. Diese werden nach dem vereinbarten Recht oder nach dem Recht des Staates, in dem die Leistung erbracht wird, beurteilt.
Im schweizerischen Recht gilt bei Leistungsstörungen keine einheitliche Regelung. Die im Falle von unvorhersehbaren Ereignissen – wie einer Pandemie,Krieg oder Ähnlichem – anwendbaren Grundsätze unterscheiden nach temporärer Unmöglichkeit und dauernder Unmöglichkeit oder auch nach objektiver und subjektiver Unmöglichkeit oder auch nach rechtlicher oder wirtschaftlicher Unmöglichkeit.
BEISPIELE
Temporäre Unmöglichkeit liegt vor, wenn eine Sängerin aufgrund einer Erkrankung für deren Dauer nicht auftreten kann; dauernde Unmöglichkeit liegt vor, wenn die Sängerin auch nach Abheilen der Erkrankung nicht mehr singen kann. Objektive Unmöglichkeit liegt vor, wenn ein Zoo den letzten lebenden Dodo verkaufen möchte, dieser aber verstirbt (Dodos sind bereits ausgestorben); subjektive Unmöglichkeit liegt vor, wenn es weltweit noch Dodos gäbe, aber der Dodo des Zoos verstirbt. Wirtschaftliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn der letzte Dodo zwar geklont werden könnte, dies jedoch unvergleichbar teuer wäre; rechtliche Unmöglichkeit, wenn der Verkauf von Dodos verboten würde.
WER IST SCHULD, UND WEN KÜMMERT ES?
Nach schweizerischem Recht kommt es auch noch auf das Verschulden an. Es ist also relevant, ob der Dodo eines natürlichen Todes gestorben ist und ob dieser verhinderbar gewesen wäre. Ist die Ursache der Unmöglichkeit unverschuldet, wie bei Krieg oder einem unvorhersehbaren rechtlichen Verbot, so sind beide Vertragspartner von der Leistungspflicht befreit – bei temporären Hinderungsgründen nur für die Dauer der Hinderungsgründe. Ob dies zu einer Schadenersatzpflicht einer Partei führt, hängt vom Vertragstext ab. Oder wenn nicht geregelt ist, in wessen Betriebsrisiko (also wessen Verantwortungsbereich) der Hinderungsgrund fällt. Diese Frage ist sehr faktenintensiv und kann selten pauschal beantwortet werden.
Beim UN-Kaufrecht ist die Frage der Leistungsstörung verschuldensunabhängig geregelt. Im Falle einer unverschuldeten und unvorhersehbaren Unmöglichkeit entfällt auch hier die Leistungspflicht (für die Dauer der Unmöglichkeit). Dies befreit auch von den Schadenersatzpflichten, soweit die Verhinderung reicht.
NEIN WIRKLICH – WER IST SCHULD?
Was bedeutet dies nun konkret? Wann liegt z. B. Verschulden vor? Die Antworten finden sich an verschiedenen und teilweise überraschenden Orten, zum Beispiel im Gesellschaftsrecht
Der Verwaltungsrat kann dem Gesetz gemäss in allen Angelegenheiten Beschlüsse fassen, die nicht der Generalversammlung zugewiesen sind. Daneben hat derVerwaltungsrat in der Schweiz im Gegensatz zu anderen Ländern gewisse unübertragbare Aufgaben. Zu diesen Aufgaben gehört auch, Massnahmen zum Schutz von Mitarbeitern zu erlassen.
Nehmen wir an, eine Leistung kann nicht mehr erbracht werden, weil alle Arbeitnehmer der Gesellschaft nicht mehr zur Verfügung stehen oder die Infrastruktur nicht genutzt werden kann. Als Beispiel die Corona-Gesundheitskrise: Eine Dienstleistungsfirma hat keine Vorkehrungen zum Homeoffice geschaffen und kann daher Verträge nicht mehr erfüllen; ein Handwerksbetrieb hält sich nicht an die Empfehlungen des BAG und die Arbeiter werden alle krank oder unter Quarantäne gestellt.
Obwohl dies zu Unmöglichkeit der Leistung führt und eine Quarantäne oder Erkrankungen vielleicht nicht unbedingt vorhersehbar sind, könnte dennoch ein Verschulden bei der Vertragserfüllung vorliegen. Der Risikobereich für die Vertragspartner ergibt sich aus der Rechtsordnung. Vorgeschrieben ist, dass z. B. die Geschäftsführung oder der Verwaltungsrat strukturierte und weitsichtige Massnahmen für das Unternehmen trifft. Die Argumentation, dass Erkrankungen in hoher Zahl unabwendbar sind oder dass die Mitarbeiter ja im Büro und nicht zu Hause arbeiten sollen und eine behördlich angeordnete Quarantäne nicht im Verantwortungsbereich der Geschäftsleitung liegt, lässt sich damit kaum aufrechterhalten. Anders wäre es, wenn der Handwerksbetrieb trotz Einhaltung der Massnahmen und aufgrund einer allgemeinen Anordnung der Behörden den Betrieb einstellen müsste.
AUSBLICK UND AUFGABEN
Im internationalen Kontext und nach dem OR können diese Verpflichtungen und die Frage, wem ein Verantwortungsbereich zuzuordnen ist, sehr unterschiedlich beurteilt werden. In der Zukunft und insbesondere nach der Vogelgrippe und dem Coronavirus wird es wohl ratsam sein, bestehende Verträge zu ergänzen und neue Verträge mit verständlichen und vorhersehbaren Klauseln zur Leistungsverhinderung zu gestalten, denn es wird schwieriger werden, zu argumentieren, dass bei gesundheitlichen Notfällen eine Unvorhersehbarkeit bestand.