Ladies Drive No. 51: Adieu Gewohnheiten
Der Wecker klingelt, nach der morgendlichen Routine steigt man ins Auto oder in den Bus, sitzt um Punkt 8.00 Uhr im Büro und verlässt um 17.00 Uhr dieses wieder – langweilig, könnte man meinen. Doch für viele Menschen eine Gewohnheit, welche wir als sogenannte Gewohnheitsspezies dem Grundsatz nach schätzen. Covid-19 hat uns gezwungen, Schritt für Schritt von unseren Gewohnheiten Abstand zu nehmen. Während die einen Arbeitgeber zu Beginn der Pandemie ihre Arbeitnehmer ins Homeoffice beorderten, versuchen andere Arbeitgeber etwas, was man bisher vor allem in Pflegeberufen, produzierenden Betrieben und bei Teilzeitkräften kennt: Schichtarbeiten, Tageswechsel oder Job- Sharing. Liegt in diesen Arbeitsformen die Zukunft auch ausserhalb von Covid-19? Kann der Arbeitgeber die Arbeitnehmer einfach so aus der gewohnten Routine reissen, oder geht das nur bei Covid-19 oder in anderen Sonderfällen?
DER SCHICHTBETRIEB IM RAHMEN VON COVID-19
Vorstellen muss man sich das Ganze bei Covid-19 so: In einem Unternehmen werden zwei, drei oder mehr Gruppen von Arbeitnehmern gebildet, die nicht alle wie gewohnt zur gleichen Zeit die Arbeitsplätze dicht an dicht besetzen, sondern sich möglichst nicht in der physischen Präsenz überschneiden. Dies soll die Durchmischung der Arbeitnehmer verhindern. Bei einer Ansteckung mit dem Coronavirus wird lediglich das betroffene Team in Quarantäne und damit ausser Arbeitsgefecht gesetzt. Ohne diese physische Trennung müssten beinahe alle Arbeitnehmer des Unternehmens gleichzeitig in Quarantäne, was eine vorübergehende Schliessung des Betriebs zur Folge hätte. Schliessungen sind wirtschaftlich viel schwieriger zu verkraften als Überstunden wegen Mehrarbeit, weil ein Teil der Belegschaft ausfällt.
UNKLARHEITEN IM NEUEN
ARBEITSBETRIEB
Doch was macht es mit den Menschen, welche nun anstatt von 8.00 bis 17.00 Uhr an einigen Tagen von 6.00 bis 15.00 Uhr arbeiten müssen? Man würde denken, die Anweisung, im Homeoffice zu arbeiten und gleichzeitig die Kinder und den Ehepartner zu betreuen, wäre einschränkend genug gewesen und man könne zurück in die Normalität, eben in die Gewohnheit.
In der Covid-19-heissen Phase wurden wir von vielen Juristen und Ratgebern darüber belehrt, dass in einer solchen Situation durchaus den Anweisungen des Arbeitgebers gefolgt werden muss; aber nun, in Zeiten der Lockerungen, muss man sich nun diese weiteren Anweisungen des Arbeitgebers gefallen lassen? Wie weit darf der Arbeitgeber mit seinen Weisungen gehen und unter welchen Umständen? Was muss beachtet werden, damit diese Änderungen dauerhaft rechtsgültig sind? Braucht es eine Vertragsänderung?
DIE RECHTSLAGE BEIM WEISUNGSRECHT DES ARBEITGEBERS
„Der Arbeitgeber kann allgemeine Anordnungen erlassen und besondere Weisungen erteilen“ und „Der Arbeitnehmer hat die allgemeinen Anordnungen und besonderen Weisungen nach Treu und Glauben zu befolgen“ – dies sagt das Gesetz zur Befolgung von Anordnungen und Weisungen. Arbeitsstunden sind meistens im Arbeitsvertrag festgelegt. Eine Änderung der Anzahl der Arbeitsstunden
ist in Form von Weisungen grundsätzlich unzulässig. Der Arbeitgeber kann jedoch einseitig durch Gebrauch seines Weisungsrechts anordnen, wann die entsprechende Stundenzahl zu leisten ist (sogenannte Arbeitszeitlage). Wurde im Arbeitsvertrag auch dies festgelegt, reicht ein einseitiges Weisungsrecht für die dauerhafte Änderung der Arbeitszeitlage nicht aus. Dasselbe gilt, wenn dies nicht im Arbeitsvertrag geregelt wurde, jedoch über eine längere Zeit zur gleichen Uhrzeit die gleiche Anzahl Arbeitsstunden geleistet wurde. Eine dauerhafte Änderung der Lage der Arbeitszeiten ist nur mit einer ausdrücklichen oder konkludenten Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers oder in Form einer Änderungskündigung zulässig.
ARBEITSRECHTLICHE GRENZEN DER FREI ZU GESTALTENDEN ARBEITSZEITEN
Da wir jedoch hoffen, dass die Pandemie nicht von Dauer ist, würde eine vorübergehende Regelung ausreichen. Genau das ist im Rahmen des Gesetzes auch ohne eine Vertragsänderung möglich. Dafür gibt es zwei Voraussetzungen, welche erfüllt sein müssen. Zum einen muss eine betriebliche Notwendigkeit bestehen, die Lage der Arbeitszeit zu ändern, und zum anderen muss diese dem Arbeitnehmer zugemutet werden können. Zumutbarkeit kann sehr individuell gewertet werden – für die einen ist die Verlegung der Arbeitszeit auf frühere Uhrzeiten zumutbar, für andere auf keinen Fall. Unzumutbar ist beispielsweise die Verlegung der Arbeitszeit auf eine Uhrzeit, welche das Arbeiten eines Teilzeitbeschäftigten in einem anderen Unternehmen verunmöglicht. Selbstverständlich ist der Arbeitnehmer gehalten, den Arbeitgeber über die Mehrfachbeschäftigung aufzuklären, ansonsten verletzt er die Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Weiter möglich ist die Einräumung eines einseitigen Gestaltungsrechts an den Arbeitgeber durch Einzel- oder Gesamtarbeitsvertrag, wodurch dieser die Arbeitszeitlage einseitig ändern kann.
Den Gestaltungsfreiheiten werden die Grenzen jedoch auch durch das Arbeitsgesetz gesetzt. So etwa muss beachtet werden, dass für bestimmte Arbeitnehmer besondere zeitliche Schutzbestimmungen gelten. Darunter fallen insbesondere Schwangere und Jugendliche. Des Weiteren müssen die Ruhezeiten des Arbeitsgesetzes beachtet werden. So bedürfen die Arbeitnehmer zwischen zwei Arbeitstagen eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden. Dies bedeutet, dass die Verschiebung der Arbeitszeit von 8.00 auf 6.00 Uhr zwar möglich ist, am vorherigen Tag jedoch nicht länger als bis 19.00 Uhr gearbeitet werden darf. Doch wie gewichtig sind private Gründe, welche eine Arbeitszeitverlegung verunmöglichen? Dass bei einer Pandemie die betriebliche Notwendigkeit, in Gruppen und Schichten zu arbeiten, womöglich gegeben ist, stellt wohl kein Problem dar, sondern das, was für den Arbeitnehmer noch zusätzlich zumutbar ist und was nicht. Muss eine alleinerziehende Mutter, bevor sie um 8.00 Uhr im Büro erscheint, noch ihre Kinder zur Schule bringen, ist es für sie wohl unzumutbar, ihre Arbeit um 6.00 Uhr aufzunehmen. Die Aussage eines Arbeitnehmers, der Beginn der Arbeit um 6.00 Uhr sei für ihn unzumutbar, da er dann zu wenig Schlaf hätte, ist hingegen unbeachtlich. Die Zumutbarkeit ist jedoch nicht nur einseitig zu beachten. In Zeiten der Covid-19-Pandemie ist den Mitarbeitern mehr zuzumuten als in einer normalen Geschäftslage.
Covid-19 oder andere Pandemien in dieser international vernetzten Welt werden uns nach allem Anschein noch weiter begleiten. Da sich das Bundesgericht jüngst noch nicht mit der Frage dieser Folge der Coronapandemie befassen musste, werden einige Fragen ungeklärt bleiben, denn was der Unzumutbarkeit unterliegt, ist auch Teil der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Es ist jedoch an den gesunden Menschenverstand zu appellieren, der die Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer richtig abzuwägen hat. Das Coronavirus betrifft uns alle persönlich und wirtschaftlich, weshalb ein gemeinsames Agieren und etwas Flexibilität notwendig sind.